Jahreslosung 2023: “Du bist ein Gott, der mich sieht”.

Pfarrer Matthias Lenz zur Jahreslosung “Du bist ein Gott, der mich sieht”. (1. Mose 16,13)
Zwei Frauen, zwei werdende Mütter, Hagar und Maria, sprechen staunend von Gott als einem, der sie sieht.
Gott sieht. Das ist an sich noch nicht bemerkenswert. Gleich am Anfang der Bibel wird Gott als ein Sehender beschrieben: Gott sieht, was er gemacht hat und er sieht, dass es gut war. Am Anfang der Sintflutgeschichte sieht Gott, dass das Treiben der Menschen böse ist und spä­ter stellt er sich den Bogen in den Himmel, dass er ihn ansehe und ihn an den Bund erinnere, den er mit Noah geschlossen hat.
Erstaunt sind die beiden Frauen aber, dass Gott sie sieht, sie in ihrer Erniedrigung, ihrer Niedrigkeit sieht: Hagar, die werdende Mutter Ismaels und Maria, die werdende Mutter Jesu.

Bemerkenswert ist hier vor allem der Ausspruch Hagars, der uns durch das Jahr 2023 als Jahreslosung begleitet: Denn die Erfahrung, die sie mit Gott macht, widerspricht all dem, was sie bisher erlebt hat. Du bist ein Gott, der mich sieht, stellt sie erstaunt fest.

Hagar ist die ägyptische Sklavin, Magd Sara[i]s, der Stammmutter Israels. Sarai und Abra[ha]m sind alt. Aber Gott hat ihnen Nachkommen wie Sand am Meer verspro­chen. Und so hat Sarai selbst die Idee, dass ihr Mann Abram mit Hagar den von Gott versprochenen Nachkom­men zeugen soll. Sie selbst kann nicht mehr damit rech­nen schwanger zu werden. Hagar wird nicht um ihre Mei­nung gefragt, nicht einmal mit Namen genannt, sie ist nur die ägyptische Magd, ein Objekt, Mittel zum Zweck.

Als Hagar dann aber wie erhofft schwanger wird, ist Sarai eifersüchtig und drangsaliert ihre Sklavin, wie sie nur kann, so dass Hagar nur noch weg will und in die Wüs­te flieht. An einer Quelle, einem „Wasserauge“ (hebräisch Auge = Quelle) sieht sie der Engel Gottes und spricht sie an: „Hagar, Sa­rais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin?“

Der Engel Gottes spricht sie nicht nur mit ihrem Namen an, er kennt auch ihre Situation und er fragt, was sie will. Auf ihre knappe Antwort hin fordert er sie auf, wieder zurück­zukehren und sich unter ihrer Herrin zu „demütigen“, aber er gibt ihr eine Verheißung, ein Versprechen Gottes mit. Gott verspricht: „Ich will deine Nach­kommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.“ Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: „Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört. Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.“
Dabei ist sie die einzige Frau in der Bibel, die eine derartige Verheißung erhält.
Hagar kehrt zurück und am Ende wird sie frei sein – aber erst, als auch Sara ein Kind bekommt und diese sie mit ihrem Sohn weg­schickt (1. Mose 21). Auch da ist es wieder Gottes Engel, der sich ihrer annimmt.

Hagar ist die erste Person, die Gott einen Namen gibt: „Gott, der mich sieht“, der mich in meiner Not, in mei­ner Erniedrigung gesehen hat, mich in seinen Dienst nimmt und mir ein Versprechen macht über das Kind, das ich im Bauch trage.

Auch Maria erscheint ein Engel, auch Maria erhält eine Verheißung über das Kind, das sie bekommen wird. Auch sie ist erstaunt darüber, dass ausgerechnet sie die Mutter des versprochenen Retters werden soll. Einige Parallelen in den Geschichten lassen sich bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den beiden Frauen entdecken.

Wenn Maria aber von ihrer Niedrigkeit spricht, kann man das vielleicht auf die Gesamtlage des Volkes Israel unter der Besatzung hin verstehen, eine persönliche Erniedrigung vor allem vor der Ankündigung der Schwangerschaft müsste man sich aber herbei phantasieren. Eigentlich passt der Beginn des Magnifikat viel besser in den Mund Hagars als in den der Maria.

Beide Frauen sprechen davon, dass Gott die Erniedrigung sieht, dass Gott hinsieht, auf das Leid der Einzelnen, aber auch auf das Leid einer ganzen Gruppe von Menschen. Das Leid ist Gott nicht egal. Gott steht auf der Seite derer, die Leiden und Unrecht erfahren, auch heute noch.

Du bist ein Gott, der mich sieht.

Und wenn wir auf der Sonnenseite im Leben stehen, ist es Gott, der unseren Blick lenkt, der uns lehrt, nicht weg- sondern hinzusehen und zu erkennen. Dann können auch wir Engel, Boten Gottes werden, die Leid sehen und die Leidenden als Menschen mit Namen und Geschichte erkennen und ansprechen, nicht nur als Namenlose, Nummern, Statistik, Objekte.

Matthias Lenz

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